Sommerfrische im Gefrierfach!

Man(n)/ Frau nimmt ein großes Flugzeug und fliegt bis ans Ende der Welt nach Anchorage, Alaska.  Fährt weiter nach Talkeetna, also noch ein Stückchen „Mehr- Ende- der- Welt“, nimmt ein kleines Flugzeug und landet, schwups, zur Sommerfrische statt an der Adria im größten Gefrierfach der Welt: dem Kahiltnagletscher am Fuße des Mount Mc Kinley!

So geschehen am 16.05.2012, als eine illuster zusammengewürfelte Truppe, bestehend aus Andrea, Toni und Fred, Frank und Wolfgang bzw. Susanne, Herwig und meiner Wenigkeit, beschließt, der nahenden Sommerhitze zu entfliehen und den „Kältesten Berg der Erde“ zu besteigen!

Wir sind auf alles vorbereitet, haben die beste Ausrüstung. Sogar beheizbare Socken und Einlegsohlen sind mit im ca. 45 kg schweren Gepäck, das jetzt, nach der Ankunft im BC, auf Rucksack und Schlitten akriebisch verteilt wird. Nur mit einem haben wir nicht gerechnet: mit Hitze! Und die macht uns in den ersten Tagen ganz schön zu schaffen! Wer hätte gedacht, dass man am Denali mit kurzem Leibchen unterwegs sein kann? Verflucht sei die lange Unterhose!

So trotten wir bei bestem Wetter den schier endlosen Kahiltna- Gletscher taleinwärts. Klaus, ein guter Bergführerkollege- und freund, meinte einst, am Weg zur Concordiahütte: das Grauen hat einen Namen: „Aletsch“! Falsch: das wahre Grauen heißt „Kahiltna“! Der ungewohnte Schlitten hängt sich ganz schön an und Camp 1, schon seit langem in Sichtweite, rückt einfach nicht näher! Schließlich erreichen wir es doch und das sich die nächsten Wochen täglich wiederholende Prozedere beginnt: Schaufeln, Zelt aufstellen, Kochen und, tja, es muss einfach erwähnt werden: aufs Töpfchen gehen! CMC heißt‘s genau: „Clean Mountain Can“!  Schön! In der Praxis ist’s anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, aber eines ist klar: es lohnt sich, ist der Denali doch so vermutlich nicht nur der kälteste, sondern auch der sauberste Berg der Erde!

Ist anderntags der Skihill, ein ca. 25° steiler Aufschwung gleich zu Beginn der Etappe erst einmal überwunden, geht’s zu Camp 2 ähnlich flach weiter wie am Vortag! Nur die lange Unterhose hat diesmal ihren Platz im Schlitten gefunden und das warme Ortofox- Oberteil wird gegen ein luftiges T- Shirt getauscht.

Camp 2 ist durchlaufen und Camp 3, traumhaft in einem kleinen Gletscherbecken gelegen, erreicht! Schaufeln, Zelt aufstellen, Kochen, CMC… alles wie gehabt! Und dann schlafen! Das ist allerdings gar nicht so einfach, ist es doch um diese Jahreszeit am Denali 24 Stunden hell und so genießen wir noch um halb elf Uhr abends die letzten Sonnenstrahlen im Camp. Dann heißt es allerdings schnell ab in die Feder! Mütze auf, Reißverschluss vom Schlafsack zu! Nur mehr die Nase, als letzte Verbindung zur Außenwelt, blinzelt hervor! Hat es unter Tags in der Sonne sehr angenehme, ja geradezu heiße Temperaturen, sinkt das Thermometer jetzt, wo die wärmenden Strahlen hinter dem Ende der Welt verschwunden sind, rasch auf -25°C!

Nachdem wir das erste Mal Material aufs Medical- Camp, kurz MC, gebracht haben und mit unseren Spaghetti- Schiern und Expeditionsschuhen eher im „Oldschool- Style“ wieder auf Camp 3 rutschen, gönnen wir uns heute den ersten Ruhetag: ohne Schaufeln, ohne Zelt aufstellen, aber mit Kochen und, logisch, CMC!

Ohne Motorcycle aber mit 20kg Gepäck am Schlitten geht es den 35°steilen Motorcycle- Hill hinauf,  ohne Wind über den berüchtigte Windy Corner und gottseidank ohne Medizin erreichen wir das Medical Camp! Einzig einen Schnaps haben wir uns nach dieser heutigen Schinderei mehr als verdient! Oder waren es vielleicht zwei?! Ich denke, Toni weiß es jedenfalls nicht mehr so genau!

Bis jetzt läuft ja alles wie am Schnürchen, so auch der Weiterweg zum Highcamp. Hinauf zur Westbuttres ist nämlich ein solches fix gespannt, um den Anstieg zu erleichtern. Leider hängen da aber nicht selten zu viele Amerikaner, aufgefädelt wie die Perlen an einer Kette, ohne sich wirklich vom Fleck zu bewegen! Ich habe Glück, kann sie überholen und so Material aufs Highcamp bringen! Ein phantastischer Ort, auf ca. 5300m, wie ein Adlerhorst gelegen, am Fuße des Denali- Pass: quasi dem Tor zum Gipfel! Aber erst ist ein Ruhetag im MC angesagt. Wir schlafen aus, genießen die Aussicht und die Ruhe! Das ist überraschend, denn trotz der vielen Bergsteiger, so um die 200 werden es am Berg wohl sein, ist es in den Lager immer angenehm still. An den Temperaturen wird’s wohl nicht liegen, oder ist den meisten das Lachen eingefroren? Mir allerdings könnte es bald einfrieren, wenn ich an die nächsten Tage denke, denn nun wird es ernst.

Ein zweites und hoffentlich letztes Mal geht es, mit unglaublich schwerem Rucksack, aber jetzt ohne Schlitten, das Schnürchen hinauf zum HC. Am nächsten Tag ist eigentlich noch ein Ruhetag geplant, aber sollte das Wetter passen…

…Es passt! Und so beschließen Andrea, Frank und ich, heute zum Gipfel zu gehen! Das Schöne am Denali: es gibt keinen Stress, nicht wie in den Westalpen! Wir warten, bis die Sonne die Flanke hinauf zum Denali- Pass erreicht hat und starten dann erst los! Anfangs etwas mühsam, da die Amerikaner wieder ihre Perlen- Taktik anwenden und einen riesigen Stau verursachen. Aber ab dem Pass haben wir freie Fahrt: als Letzte gestartet, überholen wir noch vor dem großen Footballfield die Ersten: skuril, eine koreanische 2er- Seilschaft, verbunden mit zwei 120er- Bandschlingen!  Bei uns läuft es, ohne Schnürchen und Bandschlingen,wie am Schnürchen: einfach perfekt! Nicht zu kalt, vielleicht um die -25°C! Das ist für den Gipfelgang am Denali vermutlich sogar richtig warm und, noch viel wichtiger, es weht kein Wind!

Mittlerweile bin ich alleine. Das Plateau ist überquert und nur mehr der Gipfelhang erhebt sich vor mir. Aber jetzt zieht es plötzlich zu. Es beginnt zu graupeln und leichter Wind kommt auf! Oje, das wird hart! Schluss mit Lustig! Ich werde den Denali wohl hoffentlich nicht gegen Ende noch von seiner ungemütlichen Seite kennenlernen? Das wäre dann wohl auch mein Ende vom Gipfel! Ich lasse den Rucksack zurück. Der Gipfelhang wird ohne unnötigen Ballast bewältigt, nur der Pickel kommt mit! Was wäre  schon ein Gipfelfoto ohne?  Als ich den Grat schließlich erreiche, sehe ich kaum noch etwas: Brille und Sturmhaube sind vereist, die Sicht schlecht, der Weg zum Gipfel nicht gespurt und recht abschüssig! Schon wieder oje! Das kann es aber jetzt wohl nicht gewesen sein, oder? Ist es auch nicht! Die Sturmhaube zerre ich mir mit den dicken Mondhandschuhen irgendwie vom Gesicht und die gefrorene Brille verschwindet in irgendeiner Tasche! In einer Hand den Pickel, trennen mich jetzt nur noch wenige Meter vom Gipfel! Ich hab ihn nicht umsonst mitgenommen, den Pickel, der jetzt, um 15:10h am 27.05.2012, endlich seinen Platz neben dem Vermessungssiegel findet: juhu, ich bin am  „Top of Amerika“! Klick, das Foto ist geschossen und der richtige Gipfel wird’s wohl sein?

Jetzt fehlen nur noch Frank und Andrea, die ich am Plateau abhole. Gemeinsam gehen wir die letzten Meter noch einmal hinauf und fallen uns glücklich in die Arme. Zu dritt feiert es sich halt doch noch einmal schöner… und der Gipfel ist tatsächlich der Richtige!

Um den Erfolg zu vervollständigen, schaffen es schließlich am nächsten Tag auch noch Susanne, Toni und Wolfgang zum höchsten Punkt! Große Gratulation!

So, und wer nun Lust auf Sommerfrische bekommen hat, dem sei gesagt: Um schön braun zu werden im Gesicht fahr besser an die Adria, aber um zu verlieren an Gewicht, da ist der McKinley eine G‘schicht! Am Denali wird man höchstens Schwarz auf Nase, Fingern und den Zehen, es sei denn, die CMC ist voll und kein Reservesack zugegen…